Spitzelvergangenheit von Starregisseur István Szabó nachgewiesen
Recherchen von Historikern und Journalisten in den Akten des früheren kommunistischen Geheimdienstes in Ungarn haben im Januar eine Serie spektakulärer Enthüllungen zutage gebracht. Danach war der oscargekrönte Star-Regisseur István Szabó kurz nach der antisowjetischen Revolte von 1956 Informant der ungarischen Stasi, ebenso die hochrangigen Kirchenmänner László Paskai und László Lekai.
Der Regisseur Szabó gab seine Spitzeltätigkeit zu – allerdings in zwei widersprüchlichen Varianten, in denen er dies zu rechtfertigen suchte. Damit verstörte er viele seiner Anhänger. Dennoch stellten sich mehr als 100 ungarische Persönlichkeiten, darunter der frühere Staatspräsident und Schriftsteller Arpád Göncz in einer Unterschriftenaktion hinter Szabó. Auch der Altmeister des ungarischen Films Miklós Jancsó, den Szabó damals auch bespitzelt hatte, erklärte sich mit dem Regisseur solidarisch.
Die Enthüllungen prägten dennoch im Februar die Premiere von Szabós neustem Film „Rokonok“ (Verwandte) zum Auftakt des jährlichen Budapester Filmfestivals. Zur Premiere erschien auch der sozialistische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany und umarmte den ins Gerede gekommenen Regisseur demonstrativ.
Der Filmkritiker András Gervai hatte in der ungarische Wochenzeitung „Elet es irodalom“ (Leben und Literatur) enthüllt, dass Szabó von 1957 bis 1963 als Geheimdienst-Informant tätig gewesen war. Als Student der Theater- und Filmhochschule habe er Dutzende Spitzelberichte über Kommilitonen und Dozenten verfasst. Szabó hatte dies unter dem Druck der Faktenlage bestätigt, aber zunächst betont, dass er damit einen Freund vor dem Galgen gerettet habe. Drei Tage später räumte er schließlich ein, in erster Linie sich selbst gerettet zu haben. Der Fall Szabó wirkte umso bestürzender, als es in seinen erfolgreichsten Filmen ausgerechnet um die problematische Beziehung von Künstlern zur Diktatur geht. Für „Mephisto“ (1981), eine Paraphrase auf die Laufbahn des deutschen Theatermachers Gustaf Gründgens, erhielt er den Oscar.
Den Recherchen zufolge haben sich auch hohe Kirchenmänner dem kommunistischen Regime als Geheimdienstinformanten dienstbar gemacht. Der langjährige Primas der ungarischen katholischen Kirche, Kardinal-Erzbischof Laszlo Páskai, hat nach Erkenntnissen des Budapester Historikers Krisztian Ungváry unter dem Decknamen „Tanar“ (Lehrer) von 1972 bis 1974 der ungarischen Stasi über Interna der katholischen Kirche berichtet. Paskai hatte von 1987 bis 2003 als Erzbischof der Diözese Esztergom beziehungsweise Budapest-Esztergom an der Spitze der ungarischen katholischen Kirche gestanden. Wie Ungváry schreibt, waren seine Spitzel-Berichte aber nichtssagend, harmlos und frei von Angaben, die andere kompromittiert hätten. „Die Geschichte von Paskai als Informant beweist, dass jemand auch ohne besondere Niederträchtigkeit Geheimdienst-Zuträger sein konnte“, meint Ungváry.
Der frühere katholische Primas und Kardinal-Erzbischof Laszlo Lekai (1910-1986) wiederum soll aktiv an der Bespitzelung der Bokor-Gemeinschaft mitgewirkt haben. Die spirituell und pazifistisch ausgerichtete Bokor- Gruppe war 1948 vom Piaristenpater György Bulanyi gegründet worden. Im Kommunismus wurde sie sowohl von den staatlichen Behörden als auch von der Amtskirche scharf verfolgt. Von 1952 bis 1960 saß Bulanyi wegen seines Engagements im Gefängnis.
K.L.