In den USA steht Joe Biden nach einer beispiellosen Zitterpartie kurz vor dem Einzug ins Weiße Haus. Dem demokratischen Herausforderer von Präsident Donald Trump fehlten am Donnerstag nur noch wenige Stimmen zur erforderlichen Mehrheit von 270 Wahlleuten.
Entscheidend ist nun, wem es gelingt, die letzten noch offenen Bundesstaaten zu holen. Amtsinhaber Trump, der sich in der Wahlnacht vorzeitig bereits selbst zum Sieger erklärt hatte, hat ebenfalls noch Chancen. In mehreren Staaten schickte er Anwälte mit Klagen vor, um eine Niederlage auf juristischem Weg zu verhindern.
Die Wahl war auch mehr als 24 Stunden nach Schließung der letzten Wahllokale noch nicht entschieden. Nach Berechnungen der Nachrichtenagentur AP und des TV-Senders Fox News hat Biden jedoch bereits 264 Wahlleute sicher. Der ehemalige Vize unter Präsident Barack Obama bräuchte also nur noch einen einzigen Bundesstaat, um zu gewinnen. Andere Medien wie der Sender CNN und die «New York Times» sahen Biden erst bei 253 Stimmen. Grund dafür ist, dass sie den Staat Arizona noch nicht für entschieden halten. Ein Überblick:
ARIZONA (11 Stimmen):
AP und Fox hatten den Staat recht früh in der Wahlnacht bereits Biden zugeschlagen. CNN berichtete am Donnerstag jedoch, dass Trump im Laufe der Auszählung aufholen konnte. Die Stimmung in Arizona war gespannt. Vor einem Behördengebäude, wo Stimmen ausgezählt werden, versammelte sich in der Nacht zum Donnerstag eine große Gruppe von Trump-Anhängern. Mehrere hatten nach einem CNN-Bericht Waffen dabei.
NEVADA (6 Stimmen):
Der Staat im Westen könnte die Entscheidung bringen. Biden hielt in der Nacht zum Donnerstag eine knappe Führung. Holt er sowohl Arizona als auch Nevada, hätte er genau 270 Stimmen. Neue Zahlen wurden gegen 18.00 Uhr MEZ erwartet.
PENNSYLVANIA (20 Stimmen):
In dem Staat im Nordosten führte Trump zunächst klar. Biden holte aber auf, je mehr Briefwahlstimmen ausgezählt wurden. Bei den Briefwählern in Pennsylvania schnitt der Demokrat nach den bisherigen Ergebnissen enorm besser ab als der amtierende Präsident von den Republikanern. Dies könnte den Umschwung bringen. Mit einem Ergebnis wird hier erst am Freitag gerechnet.
GEORGIA (16 Stimmen):
In dem Südost-Staat lag Trump anfangs ebenfalls klar vorn. Bis in die Nacht zum Donnerstag schrumpfte der Vorsprung aber deutlich zusammen. Aus dem Großraum um die Hauptstadt Atlanta standen noch Stimmen aus – traditionell eher demokratisches Gebiet. Es könnte also sehr knapp werden. Gegen 16.30 Uhr MEZ wollen die Behörden ein Update geben.
NORTH CAROLINA (15 Stimmen):
Auch in dem Ostküsten-Staat wurde es eng. Trump galt auch in der Nacht zum Donnerstag noch als leichter Favorit. Besonderheit: In North Carolina werden sogar noch Briefwahl-Stimmen gezählt, die bis zum 12. November eingehen – also neun Tage nach dem Wahltag.
Gegen die Briefwahl machte Trump schon den gesamten Wahlkampf über Stimmung. Inzwischen geht er in verschiedenen Bundesstaaten gegen die Auszählung juristisch vor. In Pennsylvania zum Beispiel will er verhindern lassen, dass Stimmen gültig sind, die bis Freitag ankommen. Vor der Wahl hatte das Oberste Gericht der USA die Regelung zugelassen. Drei Konservative unter den insgesamt neun Richtern zeigten sich aber offen dafür, das Thema noch einmal aufzugreifen.
Das Oberste Gericht entscheidet unter anderem auf Basis einer Abwägung, ob Entscheidungen von örtlichen Parlamenten, Wahlbehörden oder Richtern getroffen wurden. Trump klagt auch im Bundesstaat Michigan, wo die Medien bereits Biden zum Sieger erklärt haben. In Georgia zog er vor Gericht, weil 53 zu spät per Post eingetroffene Stimmzettel berücksichtigt worden seien. Im Bundesstaat Wisconsin, der ebenfalls Biden zugerechnet wird, verlangt er wegen einer knappen Entscheidung eine Neuauszählung.
Der ehemalige Obama-Vize gab sich vor seinen Anhängern siegesgewiss. «Jetzt, nach einer langen Nacht des Zählens ist es klar, dass wir genug Staaten gewinnen, um 270 Wahlstimmen zu erreichen, die erforderlich sind, um die Präsidentschaft zu gewinnen», sagte Biden vor Anhängern in seinem Heimatort Wilmington. Im Unterschied zu Trump verzichtete der 77-Jährige aber darauf, sich vorab zum Sieger zu erklären. Er bekräftigte: «Wir ruhen nicht, ehe nicht jede Stimme gezählt ist.»
Trump setzte zahlreiche Tweets ab, in denen er über die Stimmauszählung und vermeintlichen Betrug schimpfte. Sein am Dienstagabend noch bestehender Vorsprung sei in einem Bundesstaat nach dem anderen «auf magische Weise verschwunden». In Pennsylvania werde «hart daran gearbeitet», schnell eine halbe Million Stimmen «verschwinden zu lassen». Beweise brachte er keine. Twitter versah mehrere Nachrichten mit Warnhinweisen wegen «möglicherweise irreführender» Aussagen.
Insgesamt schnitt Trump (74) bei der Wahl deutlich besser ab als nach Umfragen erwartet. Biden verfehlte den von den Demokraten erhofften klaren Sieg und musste sich unter anderem in Florida und Texas dem republikanischen Präsidenten geschlagen geben. Vor der Wahl hatte das Statistikportal «FiveThirtyEight» nur eine Wahrscheinlichkeit von rund zehn Prozent für einen Sieg Trumps errechnet.
Der US-Präsident wird nicht direkt von den Bürgern gewählt, sondern von Wahlleuten. Deren Stimmen gehen mit Ausnahme der beiden Staaten Nebraska und Maine vollständig an den Sieger in dem jeweiligen Bundesstaat.
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