«Wirtschaftsweise» sehen wegen Corona fragile Konjunktur

Die Konjunktur in Deutschland stürzt nicht so schlimm ab wie befürchtet, erwarten die «Wirtschaftsweisen». Allerdings steht die Prognose unter Vorbehalt: Entscheidend ist es, ob es gelingt, die zweite Corona-Welle zu brechen.

Angesichts der anhaltend kritischen Corona-Lage haben die «Wirtschaftsweisen» vor Rückschlägen für die Konjunktur in Deutschland gewarnt.

Zwar hob der Sachverständigenrat seine Prognose für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr an. Durch die stark steigenden Infektionszahlen bleibe die wirtschaftliche Lage aber fragil, sagte der Vorsitzende der «Wirtschaftsweisen», Lars Feld, am Mittwoch zur Vorlage des Jahresgutachtens. Für die weitere Entwicklung sei entscheidend, wie die Pandemie eingedämmt werden könne und wie sich die Wirtschaft im Ausland entwickle.

Der Sachverständigenrat übergab das Gutachten am Mittag an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Ökonomen fordern die Bundesregierung darin zu Strukturreformen auf. So müssten Defizite bei der Digitalisierung, im Gesundheits- und Bildungswesen sowie in der öffentlichen Verwaltung rasch abgebaut werden.

Aufgrund einer starken wirtschaftlichen Erholung im dritten Quartal rechnen die «Wirtschaftsweisen» für das laufende Jahr nun mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 5,1 Prozent. Das wäre in etwa auf dem Niveau des Einbruchs in der globalen Finanzkrise 2009. Im Juni hatte der Rat noch ein Minus von 6,5 Prozent für 2020 vorhergesagt. Die «Wirtschaftsweisen» sind damit augenblicklich etwas optimistischer als Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sieht durch das Gutachten den Kurs der Bundesregierung bestätigt. «Die Wirtschaftsweisen geben uns recht: Die entschlossene Hilfspolitik zahlt sich aus», sagte der Vizekanzler. Mit den massiven Hilfen sei es dem Bund gelungen, eine folgenschwere Abwärtsspirale zu verhindern.

Die Prognose berücksichtigt nach Angaben der Sachverständigen den jüngsten Anstieg der Infektionszahlen sowie die verschärften Corona-Einschränkungen im November. Bund und Ländern hatten harte Maßnahmen beschlossen, um eine weitere schnelle Ausbreitung des Virus zu verhindern. So mussten Gastronomiebetriebe für den November schließen, Hotels dürfen keine Touristen mehr aufnehmen, Freizeit- und Kultureinrichtungen gar nicht öffnen. Die Bundesregierung hat Milliardenhilfen beschlossen.

In der Prognose geht der Sachverständigenrat davon aus, dass die Zahl der Neuinfektionen mit begrenzten Eingriffen unter Kontrolle
gehalten werden kann, dafür kein umfangreicher Shutdown wie im Frühjahr 2020 notwendig ist und die internationalen Lieferketten nicht wesentlich gestört werden.

Im kommenden Jahr erwarten die «Wirtschaftsweisen» ein Wachstum von 3,7 Prozent. Allerdings steht auch dies unter Vorbehalt: «Sollte es zu massiven Einschränkungen der Wirtschaftsaktivität ähnlich denjenigen im Frühjahr kommen, ist mit einem stärkeren Rückgang der Wirtschaftsleistung zu rechnen.» Das BIP könnte im kommenden Jahr um einiges niedriger ausfallen als bisher erwartet.

Der flächendeckende Shutdown und unterbrochene Lieferketten im Frühjahr hatten zu einem Einbruch der Wirtschaft geführt. Von Juli bis September aber war das Bruttoinlandsprodukt dann unerwartet stark gestiegen, und zwar um 8,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal.

Der Sachverständigenrat erwartet außerdem, dass das Vorkrisenniveau
frühestens Anfang des Jahres 2022 wieder erreicht wird. Die Krise könne aber auch eine Chance sein, machten die «Wirtschaftsweisen» deutlich – nämlich, dass Firmen den digitalen Wandeln vorantreiben und ihre Anstrengungen für mehr Klimaschutz erhöhen.

Dafür seien aber klare Rahmenbedingungen nötig, so Feld. Eine Möglichkeit bestehe in einer Energiepreisreform, welche die EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms abschaffe und die Stromsteuer auf das europäische Minimum senke. Über eine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes wird angesichts hoher Strompreise für Haushalte und Unternehmen auch in der Politik intensiv diskutiert.

Der fünfköpfige Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung berät die Politik. Die Experten werden umgangssprachlich auch als die «Wirtschaftsweisen» bezeichnet.

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