Am Ende seiner ernüchternden Ferrari-Abschiedstour sind Sebastian Vettel nur noch die guten Gedanken an bessere Zeiten geblieben.
Er freue sich nach neun Jahren Pause auf die Rückkehr nach Istanbul, viele «glückliche Erinnerungen» habe der Heppenheimer an die Türkei. 2006 machte der heute 33-Jährige erstmals Schlagzeilen, als er bei seinem ersten Formel-1-Einsatz im Training als jüngster Fahrer der Geschichte die Bestzeit setzte. Fünf Jahre später gewann er das Rennen auf dem Weg zu seinem zweiten WM-Titel im Red Bull.
Es war 2011 die bislang letzte Austragung, ehe die Türkei im Kalender lange keine Rolle mehr spielen sollte. Erst die Corona-Krise und der Notkalender der Rennserie machen den Grand Prix am Bosporus an diesem Sonntag (11.10 Uhr/RTL und Sky) wieder möglich. Und während Vettel vor fast einem Jahrzehnt die Pole Position holte und siegte, ist die Realität jetzt eine ganz andere. Im viertletzten Saisonlauf geht es wohl erneut nur darum, endlich mal wieder anständig zu punkten, während Lewis Hamilton im Mercedes seinen siebten WM-Titel perfekt machen und mit Rekordchampion Michael Schumacher gleichziehen kann.
Vettel ist neben Hamilton und Kimi Räikkönen einer von nur drei aktiven Piloten, die schon in der Türkei gewonnen haben. Zwar dürfte die Streckenkenntnis einen kleinen Vorteil bringen. Da damals mit ganz anderen Autos gefahren wurde, ist das aber nicht entscheidend. Zumal Vettel mit dem aktuellen Ferrari weiter nicht zurechtkommt. Als 14. der WM-Wertung erlebt der Hesse mit mickrigen 18 Punkten eine missratene sechste und letzte Saison bei der Scuderia. Den Wechsel zu Aston Martin im kommenden Jahr dürfte er kaum erwarten können.
Trotz aller aktuellen Probleme ist sein neuer Arbeitgeber fest vom Können des 53-maligen Grand-Prix-Siegers überzeugt. «Ich denke nicht, dass er vergessen hat, wie es geht und wie man ein Formel-1-Auto schnell bewegt», sagte Vettels neuer Teamchef Otmar Szafnauer im australischen Podcast «In the Fast Lane» und ergänzte: «Er ist ein viermaliger Weltmeister mit einer großartigen Arbeitsmoral.» Der Deutsche wisse, «was es braucht, um ein Weltmeister-Team und Champion zu werden. Wir freuen uns also darauf, von ihm zu lernen».
In den vergangenen Monaten wirkte Vettel oft ernüchtert, da er auf der Strecke kaum noch sein Können zeigen konnte und im Duell mit seinem jungen Stallrivalen Charles Leclerc (23) ziemlich chancenlos ist. Aber ein Auslaufmodell sei Vettel ganz sicher nicht, sagte sein neuer Boss vor der Reise nach Istanbul. «Seb ist nun 33 Jahre alt und wir dürfen nicht vergessen, dass Formel-1-Fahrer in diesem Alter ihren Zenit noch nicht überschritten haben», betonte Szafnauer: «Wahrscheinlich sind sie sogar in Bestform oder steigern sich noch.»
Ein Beispiel dafür ist Hamilton, der mit 35 Jahren im überlegenen Mercedes so souverän fährt, dass ihm noch niemand etwas anhaben kann. Der zweimalige Weltmeister Fernando Alonso kehrt bei Renault 2021 sogar mit 39 Jahren zurück in die Formel 1, auch Räikkönnen (41) bleibt der Motorsport-Königsklasse weiter treu. Man müsse Vettel nur wieder «mental in die richtige Verfassung» bringen, sagte Szafnauer. Es gehe auch darum, dass er «bei uns weniger Druck als bei Ferrari verspürt», sagte der Rumäne. «99 Prozent ist eine Frage des Kopfes.»
Noch liegt das alles in der Zukunft. In Istanbul erwartet Vettel zunächst eine Strecke, «die ein bisschen von allem hat» und «schön zu fahren» ist. Nicht dabei sein wird der oft kritisierte Teamchef Mattia Binotto. Der 51-Jährige bleibt in der Ferrari-Fabrik im italienischen Maranello und leitet die Geschichte des Teams erstmals in dieser Saison aus der Ferne. Davon solle die Arbeit vor Ort aber nicht negativ beeinflusst werden, hieß es vom Traditionsrennstall.
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