London muss EU-Regeln akzeptieren oder Preis zahlen

Es soll nicht enden, solange noch eine Chance bleibt: Die EU gibt sich noch einmal einige Tage für Verhandlungen mit Großbritannien. EU-Kommissionschefin von der Leyen sagt, was jetzt passieren muss.

Trotz des extremen Zeitdrucks sieht die Europäische Union noch Chancen für einen Brexit-Handelspakt mit Großbritannien ab 1. Januar. Die nächsten Tage seien entscheidend, schrieb EU-Unterhändler Michel Barnier am Montag auf Twitter.

Bundesaußenminister Heiko Maas begrüßte, dass weiter verhandelt wird. Im Europaparlament wächst jedoch der Ärger, weil fast keine Zeit mehr zur Ratifizierung eines möglichen Vertrags vor Jahresende bleibt.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der britische Premierminister Boris Johnson hatten die Fortsetzung der Verhandlungen verabredet, obwohl sie für Sonntag eigentlich eine Entscheidung angekündigt hatten. Am 31. Dezember endet die Brexit-Übergangsfrist. Dann scheidet Großbritannien nach seinem EU-Austritt Ende Januar auch aus dem Binnenmarkt und der Zollunion aus. Ohne Anschlussvertrag drohen Zölle und Handelshemmnisse.

Maas sagte in Berlin, das einzige Mittel gegen einen solchen No Deal sei weiter zu verhandeln. «Alle Fristen sind ja mittlerweile gerissen», sagte der SPD-Politiker. Aber: «So lange eine Einigung noch möglich ist, werden wir auch darüber verhandeln, und parallel fahren wir die Notfall-Planungen für einen ungeregelten Brexit weiter hoch.»

Von der Leyen sagte am Montag, entscheidend sei die Frage, ob Großbritannien einen reibungslosen Zugang zum EU-Binnenmarkt wolle. Das Land sei willkommen: «Aber sie müssen entweder nach unseren Regeln spielen, denn das ist eine Frage der Fairness für unsere Firmen im Binnenmarkt, oder die andere Option ist, dass sie einen Preis zahlen, und der Preis sind Zölle.»

Damit spielte sie auf einen geplanten Mechanismus an, der faire Wettbewerbsbedingungen sichern soll: Weicht Großbritannien von EU-Standards ab, könnte die EU Zölle verhängen. Die Frage ist neben EU-Fischereirechten in britischen Gewässern der zentrale Knackpunkt in den Verhandlungen.

Johnson hatte am Sonntag trotz der Fortsetzung der Verhandlungen erklärt, ein No Deal sei immer noch der wahrscheinlichste Ausgang. Am Montag präzisierte ein britischer Regierungssprecher, es sei ein «möglicher Ausgang». Auch Barnier stiftete in Unterrichtungen für die EU-Staaten und das EU-Parlament am Montag sehr vorsichtige Zuversicht.

«Es könnte ein schmaler Pfad zu einer Einigung erkennbar sein, wenn die Verhandler in den nächsten Tagen die verbleibenden Hürden nehmen», sagte ein EU-Diplomat. Es habe einige Fortschritte in den vergangenen Tagen gegeben. «Aber – bisweilen erhebliche – Unterschiede müssen noch überbrückt werden», hieß es weiter.

Der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Unterhändler hätten sich in einigen technischen Details angenähert. Aber bei den Hauptstreitpunkten habe Barnier «wenig Neues» präsentiert.

Der Linken-Brexit-Experte Martin Schirdewan sagte, Barnier liefere in der letzten Verhandlungsphase immer weniger Details. Klarheit über die Inhalte des Vertrags werde erst der fertige Text bringen. Da vor Jahresende praktisch keine Zeit mehr zur Prüfung bleibe, werde das Parlament in seinen Rechten missachtet. «Das ist völlig inakzeptabel», sagte der Linken-Fraktionschef, der wie Lange in der Brexit-Koordinierungsgruppe sitzt.

Nur wenn diese Woche ein fertiger Vertragstext vorliege, gebe es noch «eine leichte Möglichkeit», diesen am 27. Dezember offiziell ins Parlament einzubringen und in einer Sondersitzung zwischen den Jahren zu behandeln, sagte Schirdewan. Lange sagte, Donnerstag sei die letzte Frist dafür. EU-Kommissionssprecher Eric Mamer sagte zur Ratifizierung nur: «Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.»

Gelingt keine rechtzeitige Ratifizierung, bleiben grundsätzlich drei Optionen: eine vorläufige Anwendung eines Abkommens, falls es vor Jahresende zustande kommt; eine vertragslose Übergangszeit von einigen Tagen oder Wochen; oder ein dauerhaftes Nebeneinander ohne Handelsabkommen.

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