Karl Geiger und Markus Eisenbichler fielen sich im dichten Schneefall von Oberstdorf jubelnd in die Arme und feierten Geigers historischen Triumph.
Der Lokalmatador hat bei seinem Quarantäne-Comeback das Auftakt-Skispringen der Vierschanzentournee gewonnen – als erster Einheimischer seit 1959. «Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Wenn jetzt noch Zuschauer da wären, wäre es perfekt», sagte er im nur mit Pappkameraden besetzten Stadion. Der 27-Jährige ließ sich von der Unruhe rund um das Corona-Chaos beim polnischen Team und einer eigenen Wettkampfpause nicht aus dem Konzept bringen und setzte sich am Dienstag vor dem Polen Kamil Stoch sowie Marius Lindvik aus Norwegen durch.
«Es war echt brutal», beschrieb Geiger den packenden Wettkampf und Bundestrainer Stefan Horngacher sagte anerkennend: «Karl ist unglaublich skigesprungen heute.»
Geigers Kumpel und Zimmerkollege in Nicht-Corona-Zeiten, Eisenbichler, betonte fröhlich: «Ich habe mich genauso gefreut, wie wenn ich selbst da oben gestanden hätte.» Der zuvor als aussichtsreichster Deutscher gehandelte «Sieg-oder-Sarg»-Springer erlebte selbst zwei völlig gegensätzliche Durchgänge: Nach einem Sprung auf nur 118 Meter im ersten Sprung verbesserte er sich mit einem fulminanten 142-Meter-Satz vom 27. noch auf den fünften Platz.
Vor verschneiten Bergen sprang Geiger bei nicht unkomplizierten Bedingungen 127 und 136,5 Meter weit. «Zwei saugute Sprünge», wie er selbst sagte. Mit seinem Erfolg nährte der Bayer die Hoffnungen auf den ersten deutschen Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee seit dem Triumph von Sven Hannawald vor 19 Jahren und fügte das nächste spektakuläre Kapitel zu seiner bisher ganz speziellen Winter-Geschichte hinzu.
«Karl hat wirklich einen goldenen Sprung gemacht bei ziemlich schwierigen Bedingungen», sagte Horngacher speziell im ersten Versuch seines Schützlings. Geiger war bei einer ansonsten durchwachsenen deutschen Team-Leistung, bei der außer ihm und Eisenbichler nur noch Severin Freund als 25. Weltcup-Punkte erhielt, der strahlende Lichtblick der Mannschaft. Bei der Siegerehrung quasi vor der Haustür hielt er andächtig inne, als die Nationalhymne gespielt wurde.
Der Allgäuer war nach einer Corona-Infektion gerade noch rechtzeitig zur Skisprung-Show in vier Akten zurückgekehrt. Geiger hatte die Tournee-Generalprobe in der Schweiz kurz vor Weihnachten noch verpasst. Seiner starken Form schadete das offenbar nicht. Er ist seit Max Bolkart 1959 der erste Oberstdorfer, der in der Heimat bei der Tournee gewinnt.
Der Gesamtweltcup-Zweite der Vorsaison sprang in diesem Jahr bislang noch nicht so konstant stark wie Eisenbichler oder der norwegische Überflieger Halvor Egner Granerud. Geiger zeigte aber schon mit seiner Goldmedaille bei der Skiflug-WM im slowenischen Planica eindrucksvoll, dass er bei großen Events auf den Punkt voll da sein kann.
Kurz nach diesem euphorisch bejubelten sportlichen Erfolg folgte für ihn ein emotionales Erlebnis der besonderes Art: In der Heimat kam seine Tochter Luisa zur Welt. Wenig später folgte der positive Corona-Test. Viel mehr Gefühls-Durcheinander in unterschiedlichen Lebensbereichen geht wohl nicht.
Top-Favorit Granerud sprang auf 122 und 131 Meter, belegte Rang vier und war damit bei Weitem nicht so überragend wie zuletzt. Im Rennen um den goldenen Adler für den Gesamtsieger ist er nun einer der Jäger. Granerud und Eisenbichler liegen eng beieinander. «Der Flug, der war der Hammer, der war echt geil», kommentierte Eisenbichler seinen zweiten Sprung.
Kurzfristig konnten auch die Polen am Springen teilnehmen. Nach einem positiven Test von Klemes Muranka war zunächst das gesamte Team für Oberstdorf von der Qualifikation und vom Wettkampf ausgeschlossen worden. Nach zwei weiteren negativen Tests, dem Einsatz polnischer Politiker und der Aufhebung der Quarantäne durch das Gesundheitsamt bekam die Mannschaft um Titelverteidiger Dawid Kubacki und Oympiasieger Stoch dann doch eine Starterlaubnis. «Natürlich ist es fantastisch, doch noch dabei zu sein», sagte Stoch, bevor er knapp hinter Geiger landete. Ein erster Durchgang mit allen 62 Springern ersetzte die ansonsten bei der Tournee üblichen K.o-Duelle der besten 50 Sportler.
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