Der russische Strafvollzug hat gegen den Kremlgegner Alexej Nawalny eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren gefordert.
Der 44-Jährige habe gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen und insgesamt sieben Mal die Meldepflicht bei den russischen Behörden verletzt, hieß es vor Gericht. Nawalny wies dies zurück: «Ich war in Deutschland in Behandlung!» Er hatte sich dort fünf Monate lang von einem Anschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok erholt.
Zudem forderte der Strafvollzug eine Geldstrafe von 500.000 Rubel (5400 Euro) gegen Nawalny, wie russische Agenturen am Dienstag aus dem Gerichtssaal meldeten. Der Strafvollzug hatte bereits zuvor erklärt, dass er die Bewährungsstrafe gegen Nawalny aus dem umstrittenen Verfahren von 2014 in echte Haft umwandeln lassen wolle.
Nawalny selbst nutzte seinen Auftritt bei dem umstrittenen Prozess für einen neuen Angriff auf Präsident Wladimir Putin. Der Kremlchef werde als «Wladimir, der Vergifter der Unterhosen» in die russische Geschichte eingehen, sagte Nawalny am Dienstag, wie verschiedene Kanäle im Nachrichtendienst Telegram aus dem Gericht berichteten. Nawalny erinnerte daran, dass er nur knapp einen Mordanschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok überlebte. Für das Attentat macht er Putin und Agenten des Inlandsgeheimdienstes FSB verantwortlich.
Das «Killerkommando» soll das Nervengift in seiner Unterhose angebracht haben. Nawalny kritisierte erneut, dass russische Ermittler bis heute Untersuchungen zu dem Anschlag vom August ablehnten. «Wir haben nachgewiesen, dass Putin diesen versuchten Mord verübt hat.» Und nun spiele «dieser kleine diebische Mensch in seinem Bunker» verrückt, weil sein Gegner überlebt habe, meinte der 44-Jährige. Putin und der FSB weisen es zurück, in den Mordanschlag verwickelt zu sein.
Nawalny kritisierte, dass Putin im Jahr 2000 völlig zufällig auf seinen Posten als Präsident gekommen sei. Der frühere Geheimdienstchef habe nie in seinem Leben an einer politischen Debatte teilgenommen. «Sein einziges Kampfinstrument ist das Töten», sagte Nawalny.
Der Oppositionsführer rief die Menschen in seinem Land auf, trotz des Drucks ihre Angst zu überwinden. Er verlangte zudem die umgehende Freilassung aller politischen Gefangenen in Russland. Gesetzlosigkeit und Willkür seien das Wesen des politischen Systems in Russland, meinte der Politiker weiter. «Das ist furchtbar», sagte er in seinem Schlusswort. Die vom Kreml eingesetzte Richterin Natalia Pepnikowa forderte Nawalny auf, im Gerichtssaal keine Politik zu machen. Das Land gehöre den Menschen, erwiderte Nawalny. Sie hätten das Recht, gegen Missstände zu protestieren.
Das Beste an Russland seien heute «die Menschen, die keine Angst haben». «Es ist nicht schwer, mich einzusperren», sagte Nawalny. «Das hier passiert vor allem, um eine möglichst große Zahl an Menschen einzuschüchtern», meinte er mit Blick auf das international als Justizwillkür kritisierte Verfahren. «Aber ein ganzes Land lässt sich nicht einsperren.»
Die Verhandlung am Moskauer Stadtgericht lief unter einem beispiellosen Polizeiaufgebot ab. Das Moskauer Stadtgericht wurde von Hundertschaften der auf Anti-Terror-Einsätze spezialisierten Sonderpolizei OMON bewacht und weiträumig mit Metallgittern abgesperrt, wie eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur vor Ort berichtete. Es gab auch Polizei auf Pferden. Ein Reporter des Internet-Kanals Doschd sprach von Szenen wie in einem amerikanischen Action-Film.
Die Zufahrtsstraßen zum Gerichtsgebäude waren gesperrt, es standen zahlreiche Gefangenentransporter bereit. Es gab am Dienstag mehr als 230 Festnahmen, wie das unabhängige Portal ovdinfo.org berichtete. Auch viele Journalisten kamen in Gewahrsam. Im Internet veröffentlichten Festgenommene Hilferufe und berichteten, sie würden im Stehen in den Fahrzeugen ohne Wasser festgehalten.
Viele Experten sehen in dem Prozess einen neuen Versuch, den prominentesten Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Schweigen zu bringen.
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