«Vergiftete Debattenkultur»? Umfrage zeigt viel Hass im Netz

Drohungen, Beleidigungen und Fake News – was in der physischen Welt geschieht, passiert auch im Internet. Dort allerdings oft noch enthemmter. Die Politik bemüht sich um Antworten.

Wer sich im Internet bewegt, kommt an Hass und Fehlinformationen kaum vorbei.

Knapp zwei Drittel der Nutzer von sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter sind nach eigenen Angaben bereits mit problematischen Inhalten wie Fake News, Hasspostings, Hetze oder Bedrohungen in Berührung gekommen. Das geht aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag des Bundesjustizministeriums anlässlich des «Safer Internet Day» am Dienstag hervor.

Der «Safer Internet Day» ist ein von der EU-Kommission angeschobener internationaler Aktionstag für mehr Sicherheit im Internet.

«Eine vergiftete Debattenkultur im Netz gefährdet unsere Demokratie», betonte Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) bei einer Digitalkonferenz ihres Ministeriums und des Digitalverbands Bitkom zum Aktionstag am Dienstag. «Denn Demokratie gibt es nicht ohne einen freien Meinungsaustausch.» Bei einer Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom wünschten sich 95 Prozent der Befragten einen «allgemein positiveren Umgangston im Internet».

Von den 525 Teilnehmern der YouGov-Umfrage, die problematische Inhalte in sozialen Netzwerken wahrnahmen, sagten 78 Prozent, sie seien mit falschen Informationen konfrontiert gewesen. 63 Prozent berichteten von manipulativen und 60 Prozent von hetzerischen und 56 Prozent von verletzenden Inhalten. 33 Prozent hatte bedrohliche Inhalte bemerkt. Je jünger oder gebildeter Befragte waren, desto häufiger begegneten sie nach eigenen Angaben solchen Inhalten. Unklar ist dabei allerdings, ob diese Menschen tatsächlich häufiger mit Fake News oder Hetze konfrontiert waren oder bestimmte Dinge häufiger als problematisch wahrgenommen haben.

In Messengerdiensten wie WhatsApp oder Telegram ist nur ein knappes Viertel der Befragten mit problematischen Inhalten in Kontakt gekommen. Sie widersprechen solchen Inhalten dort nach eigenen Angaben auch häufiger als in sozialen Netzwerken.

Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin der Organisation HateAid, die Betroffenen von Hass im Netz helfen will, warnte: Wenn Menschen, die sich gesellschaftlich engagierten, im Netz öffentlich angegriffen und sogar bedroht würden, schüchtere das andere ein und bringe sie zum Schweigen. Allzu oft werde «digitale Gewalt» aber noch nicht als Gewalt anerkannt. Betroffene bekämen von der Polizei teils zu hören «Warum haben Sie denn so provozierende Posts geschrieben?», auch werde von Anzeigen abgeraten und Verfahren zu schnell eingestellt. Wer juristisch gegen Angriffe im Netz vorgehen wolle, müsse zivilrechtlich dagegen vorgehen, mit dem Risiko hoher Kosten und eines langen Prozesses.

Generelle Verbesserungen erhofft sich Lambrecht unter anderem von Verschärfungen des deutschen Gesetzes gegen Hass und Hetze, mit Verpflichtungen für soziale Netzwerke, besonders gravierende Posts etwa mit Neonazi-Propaganda, Volksverhetzung oder Mord- und Vergewaltigungsdrohungen nicht mehr nur zu löschen, sondern sofort dem Bundeskriminalamt (BKA) zu melden. Auch das jüngst von der EU-Kommission vorgeschlagene Gesetz über digitale Dienste, bis zu dessen Verabschiedung allerdings noch Jahre vergehen könnten. biete gute Ansätze. Sinnvoll seien etwa Regeln für einheitliche Meldeverfahren und Vorgaben für den Plattform-Regeln zum Umgang mit fragwürdigen Posts, sagte die Ministerin. Es fehlten aber zum Beispiel noch klare Zeitvorgaben für die Bearbeitung von Beschwerden und die Löschung rechtswidriger Inhalte.

Oberstaatsanwalt Markus Hartmann von der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime in Köln, die in Nordrhein-Westfalen Cyberkriminalität verfolgt, räumte ein, dass es bei der Verfolgung digitaler Hasskriminalität noch viel zu tun gebe, allerdings sei er «verhalten optimistisch», dass sich die Lage verbessere. Es zeigten sich «erste zarte Sonnenstrahlen», die auf eine verbesserte Strafverfolgung hindeuteten. So hätten die Behörden in der Vergangenheit von Telekommunikationsunternehmen oft keine oder allenfalls eine späte Antwort erhalten bei Anfragen zu Bestandsdaten, also zu Inhaber von Telefonanschlüssen oder Kunden hinter einer IP-Adresse.

Bei den großen etablierten Plattformen habe sich die Zusammenarbeit deutlich verbessert, sagte Hartmann. Viele erkannten und löschten strafrechtlich relevante Inhalte mittlerweile auch selbst und löschten diese. Auf den großen Portalen fänden sich nur selten offen verfügbar strafbare politisch motivierte Hasspostings. «Strafanzeigen sehen wir in diesem Bereich von Seiten der Plattform leider ausgesprochen selten», merkte er aber an. Allerdings: Je erfolgreicher bestimmte Diskussionsgruppen von Facebook oder Google verbannt würden, desto stärker wanderten diese zu Plattformen ab, die sich einer Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden verweigerten.

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