Rund 600 Delegierte der Linkspartei versammeln sich an diesem Freitag und Samstag bei einem Online-Parteitag, um eine neue Parteiführung zu wählen.
Die seit fast neun Jahren an der Spitze stehenden Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger treten nicht mehr an. Das neue Führungstandem wird voraussichtlich aus der hessischen Landtagsfraktionschefin Janine Wissler und der thüringischen Linken-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow gebildet. Aussichtsreiche Gegenkandidaten gibt es nicht.
DAS PROZEDERE
Die Parteitagsreden werden in der «Station Berlin», einem zum Veranstaltungsort umfunktionierten alten Postbahnhof, gehalten. Die Delegierten verfolgen das von zu Hause am Computer. Sie sind über ein spezielles Programm eingeloggt, über das der Livestream geschaut, mitdiskutiert und später auch abgestimmt werden kann. Nach der Wahl der neuen Parteispitze und der Abstimmung über weitere Posten werden Stimmzettel ausgedruckt und mit eidesstattlicher Erklärung und frankiertem Rückumschlag an die eingeloggten Delegierten verschickt. Sie müssen schriftlich noch einmal ihre Wahl bestätigen, damit sie rechtsgültig wird. Die Auszählung und endgültige Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist für den 10. März geplant.
DER ZEITPLAN
Heute sind zunächst Reden der scheidenden Vorsitzenden und der Fraktionschefs des Bundestages geplant. Zudem wird über den Leitantrag des amtierenden Vorstands debattiert und abgestimmt. Die Linke betont, es werde trotz des Online-Formats, anders als im Januar bei der CDU, zu echten Debatten kommen. Der Leitantrag steht unter dem Titel: «Wie wir gerecht aus der Krise kommen – Mit einem sozialen, friedlichen und ökologischen Systemwechsel». In solchen Leitanträgen bekräftigen Parteien auf Delegiertentreffen grundsätzliche Positionen und formulieren Ziele. Die Wahl der neuen Vorsitzenden soll erst am morgigen Samstag stattfinden.
DIE BILANZ
Die scheidenden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger führen die Linke seit Juni 2012 und wollten eigentlich schon im vergangenen Juni aufhören, doch wegen Corona wurde der geplante Wahlparteitag zweimal verschoben. Man habe in den letzten neun Jahren alles gegeben, sagte Kipping. «Der Boden ist bereitet. Jetzt kann ein neues Kapitel aufgeschlagen werden.» Die Linke sei in den vergangenen Jahren moderner geworden, aus der politischen Landschaft nicht mehr wegzudenken und eine anerkannte Partei, bilanzieren die Noch-Parteichefs.
«Wir haben die Partei in einer sehr schweren Krise übernommen, und wir haben sie einen und ihr neuen Schwung geben können», sagte Riexinger dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. «Denn viele haben damals nicht mehr auf uns gewettet.» Heute sei «in der Gesellschaft allgemein anerkannt, dass es eine sozialistische Partei links von der SPD gibt». Deren rund 60.000 Mitglieder seien im Schnitt jünger und vielfältiger als vor bald neun Jahren.
Die Zeit von Kipping und Riexinger war aber auch geprägt von heftigem Richtungsstreit mit Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, die sich für eine restriktivere Migrationspolitik eingesetzt hatte und die auch heute immer wieder kritisiert, der Kurs der Linken sei zu abgehoben und zu weit weg von der eigentlichen Wählerklientel.
DIE NEUEN CHEFINNEN UND DIE ERWARTUNGEN
Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow sollen die Linke nun einen und in den Umfragen nach vorne bringen. Das Traumziel bei der Bundestagswahl: zweistellig werden. «Ich komme aus einem Bundesland mit 31 Prozent Stimmenanteil für die Linken. Deshalb sind die sechs bis neun Prozent, die man uns in Umfragen gerade gibt, für mich kein Maßstab», sagte Hennig-Wellsow der «Neuen Osnabrücker Zeitung».
Deutschlandweit bekannt wurde sie vor einem Jahr durch die inzwischen berühmte Szene mit dem Blumenstrauß, den sie dem mit Stimmen der AfD gewählten thüringischen Kurzzeitministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) vor die Füße warf. Hennig-Wellsow gehört zu denen in der Linkspartei, die sich ausdrücklich fürs Mitregieren aussprechen.
Wissler hält eine Regierung aus Grünen, SPD und Linken für eher unwahrscheinlich und zeigt sich beim Thema Auslandseinsätze der Bundeswehr – einem möglichen Knackpunkt bei etwaigen Koalitionsverhandlungen – kompromisslos. Hennig-Wellsow schließt zumindest friedenserhaltende Missionen unter dem Dach der Vereinten Nationen nicht aus.
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