Jahrestag der Pogromnacht als Mahnung: «Wir müssen handeln»

82 Jahre ist es her, dass Nationalsozialisten Wohnungen und Geschäfte jüdischer Bürger plünderten. Politiker und jüdische Verbände warnen: Antisemitismus ist auch heute noch mitten in der Gesellschaft. Der Bundespräsident äußert einen eindringlichen Appell.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zum Jahrestag der Pogromnacht zu konsequentem Handeln gegen Antisemitismus in Deutschland aufgerufen.

Es beschäme ihn, dass sich Juden mit einer Kippa auf den Straßen hierzulande nicht sicher fühlten, und dass jüdische Gebetshäuser geschützt werden müssten, sagte Steinmeier laut vorab verbreiteter Übersetzung einer Videobotschaft an seinen israelischen Amtskollegen Reuven Rivlin. «Es beschämt mich, dass ein tödlicher Angriff auf die Synagoge in Halle vor einem Jahr an Jom Kippur nur durch eine schwere Holztür verhindert wurde.» Er betonte: «Wir müssen handeln.»

Steinmeier sagte weiter, er sei dankbar, «dass die Behörden in Deutschland ihrer Verantwortung gerecht werden, indem sie den Polizeischutz für Synagogen aufstocken und antisemitische Straftaten mit der ganzen Härte des Gesetzes verfolgen». Die Videobotschaft sollte laut Bundespräsidialamt bei einer Gedenkveranstaltung in Israel zur Pogromnacht am Montag (16.00 Uhr MEZ) gezeigt werden.

Bei den Novemberpogromen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 steckten Nationalsozialisten in ganz Deutschland Synagogen, jüdische Geschäfte und Wohnungen in Brand und misshandelten, verschleppten und ermordeten jüdische Bürger.

Außenminister Heiko Maas (SPD) mahnte ebenfalls, niemand dürfe mit den Achseln zucken, wenn es auch heute fast täglich antisemitische Hetze und Gewalt im Netz oder auf den Straßen gebe. «Erinnern bedeutet, aus dem Gestern die richtigen Schlüsse für heute und morgen zu ziehen», sagte er laut vorab verbreitetem Redetext anlässlich einer digitalen Ausstellungseröffnung der Vereinten Nationen und des Zentrums für verfolgte Künste. Viele der Verschwörungsmythen rund um die Corona-Krise machten deutlich: «Antisemitismus ist auch heute kein Phänomen allein der rechtsextremistischen Ränder. Er erreicht die Mitte unserer Gesellschaft.»

Das Internationale Auschwitz Komitee rief dazu auf, Demokratie und Toleranz gegen Hass und Gleichgültigkeit zu verteidigen. «Bis zum heutigen Tag ist für jüdische Überlebende dieser Schreckensnacht die Erinnerung an die Gleichgültigkeit der allermeisten ihrer Nachbarn das Entsetzlichste, womit sie bis heute nicht fertig geworden sind», erklärte der geschäftsführende Vizepräsident Christoph Heubner laut einer Pressemitteilung am Montag in Berlin.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hatte bereits am Freitag mit Blick auf den Jahrestag erklärt, jüdisches Leben sei «noch immer gefährdet». «Neben dem wachsenden Rechtsextremismus und der bleibenden Bedrohung durch Islamisten hat auch die Corona-Krise hat zu einer Verstärkung des Antisemitismus geführt», so Schuster.

«Wir haben Antisemitismus leider nicht überwunden, auch nach 1945 nicht», betonte auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein. Es sei wichtig, heute anders mit Diskriminierung und Ausgrenzung umzugehen, als die Menschen das vor 82 Jahren getan hätten. Klein ermunterte Betroffene und Zeugen antisemitischer Vorfälle, diese zu melden. «Denn nur so kann sich etwas ändern. Wir müssen das Problem sichtbar machen, um es auch als Gesellschaft zu überwinden.»

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