Britische Bestatter am Rande der Kräfte

In der täglichen Corona-Statistik sind die Toten eine Zahl, schwarz auf weiß und ziemlich nüchtern. Für die Hinterbliebenen sind sie eine Katastrophe. Und für jene, die den Umgang mit dem Tod zu ihrem Beruf gemacht haben, eine ungekannte Herausforderung.

Alle hatten gehofft, die Frage niemals stellen zu müssen: Wohin mit all den Leichen? Doch die bittere Realität der Pandemie macht die Frage in diesen Wochen unausweichlich. Großbritannien hat eine der höchsten Corona-Todesraten in der ganzen Welt.

Mehr als 126.000 Briten haben bisher ihr Leben an die Pandemie verloren. Bestatter, Krematorien und Hersteller von Särgen arbeiten am Anschlag. «Das ist keine normale Situation», sagt Bestattungs-Expertin Deborah Smith von der National Association of Funeral Directors. Das «schier unbegreifliche Ausmaß des Verlustes» bringe selbst langjährige Kollegen an ihre Grenzen. «Es macht sie betroffen, so wie jeden von uns.»

Als Großbritannien im Januar Tag für Tag Tausende Tote zählte und sich vor allem in extrem betroffenen Regionen wie London weiter jeden Tag Tausende neu infizierten, baute man im Westen der Hauptstadt ein provisorisches Gebäude, das ein lokaler Politiker als «ernüchternde Erinnerung» bezeichnete. Eine Erinnerung daran, wie tödlich die Pandemie ist, mit der die Welt seit rund einem Jahr lebt. Mit Kühltruhen ausgestattet soll die temporäre Leichenhalle Platz für mehr als 1000 Tote bieten. «Wir haben sie in der Hoffnung gebaut, dass die Kapazität niemals ausgenutzt werden wird», sagte Ratsvertreter Stuart Love dem «Evening Standard». Auch in der Grenzregion Kent ist zwischen Auto-Showroooms und Werkstätten eine vorübergehende Leichenhalle eröffnet worden.

Hunderttausende Tote bedeuten auch Hunderttausende Begräbnisse und Einäscherungen im ganzen Land – zusätzlich zu den Beerdigungen jener Menschen, die durch Altersschwäche oder aus anderen Gründen sterben. «Der Jahresanfang ist immer eine unglaublich stressige Zeit», erzählt Smith. Grippewellen und andere Krankheiten führen dazu, dass im Winter mehr Menschen sterben als im Sommer.

Doch dass der Druck so groß ist und so lange anhält, ist neu. «Im April 2020 haben wir einen Höhepunkt der Fälle erlebt, der schnell wieder abgeebbt ist. Das ist jetzt anders», sagt Smith. Wenn über Wochen hinweg die Zahl der Covid-Toten höher als 1000 pro Tag liegt, führt das dazu, dass viele Bestatter «sehr müde und sehr gestresst» seien – aber weiterhin alles täten, um ihrer Aufgabe nachzukommen.

Dass Großbritannien so viele Tote mehr zu verbuchen hat als viele andere Länder, hat verschiedene Gründe, viele davon haben mit Timing zu tun. Premierminister Boris Johnson wird vorgeworfen, mehrfach zu spät und nicht entschieden genug auf die Pandemie reagiert zu haben. Lockdowns begannen mehrfach erst Wochen, nachdem wissenschaftliche Berater sie gefordert hatten. Auch bei schützenden Maßnahmen wie Masken in Supermärkten hinkte die Regierung immer wieder hinterher.

Das Testsystem, zuvor von Premier Boris Johnson als «weltbestes» angekündigt, machte Corona-Tests stattdessen zum raren Gut, für das Menschen teilweise meilenweit durchs Land fahren mussten. Zuletzt ließ noch die mutierte Corona-Variante B.1.1.7 die Fallzahlen explodieren. Nach ersten Erkenntnissen stufte man sie zwar nicht als tödlicher ein als das bekannte Virus. Doch durch die schiere Masse an Betroffenen brachte sie auch Zehntausende weite Tote mit sich.

«Die Frage ist, wie lange die Totenzahlen auf diesem Niveau anhalten», sagt Smith. Anders als die Zahl der Neuinfektionen, die seit einigen Wochen sinken, liegen die Todeszahlen weiter auf sehr hohem Niveau. Wichtig sei, dass auch das notwendige Material – Särge, Urnen, Blumen – nicht knapp werde. In der ersten Welle hätten einige Hersteller von Särgen 24 Stunden lang durchgearbeitet und externe Dienstleister beauftragt, heißt es von der Funeral Furnishing Manufacturer’s Association. Auf die zweite Welle sei man besser vorbereitet gewesen.

Wie Ärzte oder Pflegende können auch Bestatter und Beschäftigte in Krematorien trotz Pandemie nicht zuhause arbeiten. «In der aktuellen Phase der Pandemie ist das Risiko groß, sich anzustecken», sagt Julie Dunk vom Institute of Cemetery and Crematorium Management, einer zentralen Anlaufstelle für Betreiber von Krematorien und Friedhöfen. Müssten Mitarbeiter in Quarantäne, wird der Druck auf die Verbleibenden noch größer – oder Familien müssen warten, bis sie ihre Angehörigen begraben können. In einigen Teilen des Landes seien Bestatter bisher nicht als priorisierte Gruppe bei Impfungen akzeptiert worden, berichtet Dunk. «Das ist ein Grund zur Sorge.»

Deborah Smith vom Bestatterverband weist darauf hin, dass Trauernde nur dann an Beerdigungen teilnehmen sollten, wenn sie auch eingeladen würden. Viele Begräbnisse würden mittlerweile online übertragen, sodass man sie auch von zuhause verfolgen könne. Nur so könnten sie trotz Kontaktbeschränkungen weiter in kleinstem Kreis erlaubt sein. «Und Beerdigungen kann man nicht auf später verschieben. Sie sind eine einmalige Sache und müssen weiter stattfinden.»

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