Karlsruhe weist Ehepaar mit Sterbewunsch ab

Jeder Mensch hat das Recht auf einen selbstbestimmten Tod – mit diesem Urteil ging das Bundesverfassungsgericht vor einem Jahr sehr, sehr weit. Gerade arbeitet die Politik an der Umsetzung. Auch deshalb üben sich die Richter in einer neuen Entscheidung in Zurückhaltung.

Ein älteres Ehepaar, das seinen Tod selbst in die Hand nehmen möchte, bekommt auch durch eine Verfassungsbeschwerde keinen Zugang zu einem tödlichen Medikament vom zuständigen Bundesinstitut.

Das Bundesverfassungsgericht wies die Klage von 2019 als unzulässig ab und verwies auf das Grundsatzurteil zur Sterbehilfe aus dem Februar 2020. Dadurch hätten sich die Möglichkeiten der Kläger wesentlich verbessert, «ihren Wunsch nach einem selbstbestimmten Lebensende zu verwirklichen», teilte das Gericht in Karlsruhe am Freitag mit. (Az. 1 BvR 1837/19)

Die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats hatten damals das Ende 2015 eingeführte Verbot von Sterbehilfe als Dienstleistung (§ 217 Strafgesetzbuch) für nichtig erklärt. Die Politik wollte damit professionellen Sterbehelfern das Handwerk legen, die – oft gegen Bezahlung – tödliche Medikamente stellen oder eine Sterbewohnung organisieren. Staat und Gesellschaft hätten aber zu respektieren, wenn jemand nicht mehr weiterleben wolle, urteilten die Richter, die erstmals ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben anerkannten.

Seither dürfen Sterbehilfe-Vereine wieder praktizieren. Auch Ärzte, die Schwerstkranken ein tödliches Medikament zur Verfügung stellen, müssen keine Strafverfolgung mehr befürchten. Die aktive Sterbehilfe – also die Tötung auf Verlangen – bleibt verboten.

Das Urteil nimmt dem Gesetzgeber aber nicht die Möglichkeit, die Sterbehilfe zu regulieren, etwa durch Aufklärungspflichten oder eine vorgeschriebene Wartezeit bis zum Vollzug. In diesen Wochen werden dazu gerade die ersten Vorschläge vorgelegt und diskutiert. Die Richter begründen ihre jetzige Zurückhaltung auch damit, dass sie den politischen Gestaltungsspielraum nicht einschränken wollen.

Die 1937 und 1944 geborenen Kläger sind nicht schwerkrank. Sie hatten ihren Sterbewunsch damit begründet, dass sie nicht erleben möchten, wie ihre Kräfte nachlassen. Zudem wolle nach einer langen Ehe keiner ohne den Anderen weiterleben. Für ihren geplanten Suizid beantragten sie eine tödliche Dosis Natriumpentobarbital beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).

Dort wurde der Antrag 2014 abgelehnt. Gerichte bis hinauf zum Bundesverwaltungsgericht bestätigten die Entscheidung. Das hatte zwar selbst 2017 mit einem Urteil für Furore gesorgt, das die Abgabe eines tödlichen Medikaments in bestimmten Fällen vorsah. Diese Ausnahme bezog sich aber nur auf schwer oder unheilbar kranke Menschen «in einer extremen Notlage». Auf ausdrückliche Weisung des Gesundheitsministeriums hatte das Bundesinstitut trotzdem weiterhin sämtliche Anträge abgelehnt, das Urteil also nie umgesetzt.

Das Verfassungsgericht vertritt eine andere Position. Nach seinem Urteil dürfen Sterbehilfe-Angebote nicht den unheilbar Kranken vorbehalten sein. Der damalige Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hatte bei der Urteilsverkündung gesagt, das Recht, selbstbestimmt zu sterben, bestehe «in jeder Phase menschlicher Existenz».

In dem neuen Beschluss heißt es nun, das klagende Ehepaar sei «zunächst gehalten, durch aktive Suche nach suizidhilfebereiten Personen im Inland, durch Bemühungen um eine ärztliche Verschreibung des gewünschten Wirkstoffs oder auf anderem geeignetem Weg ihr anerkanntes Recht konkret zu verfolgen». Nur so lasse sich «ermessen, welche konkreten Gestaltungsmöglichkeiten und tatsächlichen Räume die nunmehr geltende Rechtslage bietet». Die Richter – diesmal einer Kammer des Ersten Senats – äußern auch die Hoffnung, dass dabei Konzepte zum Schutz vor Missbrauch erarbeitet werden könnten.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz liest die Entscheidung als Aufforderung an den Bundestag, trotz der Wahl im September keine vorschnellen Festlegungen zu treffen. «Insbesondere wenn es um staatlich organisierte Beratungsangebote geht, sieht man, dass die vorgelegten Konzepte kaum in der Lage sind, die Selbstbestimmung eines Menschen objektiv zu ermitteln», sagte Vorstand Eugen Brysch.

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